Die größten Irrtümer im Erbrecht: Was Sie wirklich wissen sollten
Das deutsche Erbrecht ist komplex und führt immer wieder zu Missverständnissen. Viele Menschen gehen von falschen Annahmen aus, die im Ernstfall zu bösen Überraschungen führen können. Hier klären wir die häufigsten Irrtümer auf.
1. "Ohne Testament erbt automatisch der Ehepartner alles"
Das ist falsch! Viele Eheleute glauben, dass der überlebende Partner automatisch das gesamte Vermögen erbt. Tatsächlich greift bei fehlendem Testament die gesetzliche Erbfolge:
- Bei einem Kind: Der Ehepartner erbt 1/2, das Kind 1/2
- Bei mehreren Kindern: Der Ehepartner erbt 1/2, die Kinder teilen sich die andere Hälfte
- Ohne Kinder, aber mit Eltern/Geschwistern: Der Ehepartner erbt 3/4, die Verwandten 1/4
Besonders problematisch: Erbengemeinschaften können zur Versteigerung des Familienheims führen, wenn sich die Erben nicht einigen können.
2. "Ein handschriftliches Testament reicht immer aus"
Nur bedingt richtig! Zwar ist ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Testament grundsätzlich gültig, aber es gibt wichtige Voraussetzungen:
- Das Testament muss vollständig handschriftlich verfasst sein
- Ort und Datum sollten angegeben werden
- Die Unterschrift ist zwingend erforderlich
- Computerschrift oder Schreibmaschine machen das Testament ungültig
Risiko: Unklare Formulierungen führen oft zu Streitigkeiten und kostspieligen Gerichtsverfahren.
3. "Kinder können nie enterbt werden"
Das ist ein weit verbreiteter Irrtum! Kinder haben zwar Anspruch auf den Pflichtteil, können aber durchaus "enterbt" werden:
- Enterbung bedeutet, dass Kinder nicht als Erben eingesetzt werden
- Sie behalten aber ihren Pflichtteilsanspruch (die Hälfte des gesetzlichen Erbteils)
- Dieser Anspruch beträgt in Geld, nicht in Gegenständen
- Völlige Enterbung ist nur bei schwerwiegenden Verfehlungen möglich (Straftaten gegen den Erblasser, etc.)
4. "Schenkungen zu Lebzeiten sind immer steuerfrei"
Gefährlicher Irrtum! Schenkungen unterliegen denselben Freibeträgen wie Erbschaften:
- Ehepartner: 500.000 € (alle 10 Jahre)
- Kinder: 400.000 € (alle 10 Jahre)
- Enkelkinder: 200.000 € (alle 10 Jahre)
Wichtig: Schenkungen der letzten 10 Jahre vor dem Tod werden bei der Erbschaftsteuer wieder hinzugerechnet!
5. "Mit einer Patientenverfügung ist alles geregelt"
Das stimmt nicht! Eine Patientenverfügung regelt nur medizinische Behandlungen, nicht aber:
- Vermögensangelegenheiten (dafür brauchen Sie eine Vorsorgevollmacht)
- Vertretung bei Behörden und Banken
- Aufenthaltsbestimmung
Ohne entsprechende Vollmachten kann eine teure Betreuung durch das Gericht notwendig werden.
6. "Lebensversicherungen gehören zur Erbmasse"
Nicht automatisch! Lebensversicherungen mit bezugsberechtigter Person fallen nicht in die Erbmasse:
- Die Versicherungssumme geht direkt an den Bezugsberechtigten
- Kein Pflichtteilsanspruch anderer Erben auf diese Summe
- Steuerliche Vorteile bei geschickter Gestaltung möglich
Aber: Fehlt die Bezugsberechtigung, gehört die Versicherung zur Erbmasse.
7. "Schulden erbt man nicht mit"
Leider falsch! Das deutsche Recht kennt nur die Gesamtrechtsnachfolge:
- Erben übernehmen Vermögen UND Schulden
- Bei überschuldeten Nachlässen droht die Haftung mit dem Privatvermögen
- Lösung: Ausschlagung der Erbschaft innerhalb von 6 Wochen
- Alternative: Beantragung der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens
8. "Das Berliner Testament ist immer die beste Lösung"
Oft problematisch! Beim beliebten Berliner Testament erbt zunächst der überlebende Ehepartner alles, die Kinder erst nach dessen Tod. Nachteile:
- Doppelte Freibeträge werden verschenkt
- Hohe Steuerlast beim zweiten Todesfall
- Pflichtteilsansprüche der Kinder bereits beim ersten Todesfall
- Bindungswirkung schränkt den Überlebenden stark ein
9. "Adoptierte Kinder haben weniger Rechte"
Völlig falsch! Adoptierte Kinder sind vollständig gleichgestellt:
- Gleiches Erb- und Pflichtteilsrecht
- Gleiche Steuerfreibeträge
- Keine Rechte mehr gegenüber der leiblichen Familie (bei Minderjährigenadoption)
10. "Unternehmensnachfolge regelt sich von selbst"
Existenzbedrohender Irrtum! Ohne Regelung drohen:
- Zerschlagung des Unternehmens durch Erbengemeinschaft
- Hohe Erbschaftsteuern auf den Unternehmenswert
- Liquiditätsprobleme durch Pflichtteilsansprüche
- Verlust von Arbeitsplätzen
Lösung: Rechtzeitige Beratung und strukturierte Nachfolgeplanung.
Fazit: Professionelle Beratung ist unverzichtbar
Das Erbrecht ist komplex und individuelle Umstände erfordern maßgeschneiderte Lösungen. Die häufigsten Fehler entstehen durch:
- Aufschub wichtiger Entscheidungen
- Unwissen über rechtliche Konsequenzen
- Verzicht auf professionelle Beratung
Unser Tipp: Lassen Sie sich frühzeitig von einem Fachanwalt für Erbrecht. Die Kosten für eine gute Beratung sind meist deutlich geringer als die Folgekosten ungelöster Probleme.
Dieser Artikel dient ausschließlich Informationszwecken und stellt keine individuelle Rechtsberatung dar. Für eine auf Ihren speziellen Fall zugeschnittene Beratung stehe ich Ihnen gern persönlich zur Verfügung.